Rezension: Zwei Gesichter (Kurzfilm)

Im Rahmen der wichtigen Arbeit gegen Homophobie im Fußball hat das schwul-lesbische Jugendzentrum anyway e.V. aus Köln den Kurzfilm „Zwei Gesichter“ vorgelegt, der am Donnerstag im Deutschen Sport- & Olympiamuseum in Köln Premiere gefeiert hat. Mit praktisch-technischer Unterstützung von moviio | Film- und Videoproduktion und finanzieller Hilfe durch die DFB-Kulturstiftung machten sich insbesondere junge Laienschauspieler daran, einen Plot zu spielen, der in einer vergleichsweise alltäglichen Geschichte auf die Probleme eines jungen schwulen Fußballtalents hinweist, dessen Spagat zwischen seiner Liebe zu Männern (respektive Jungs) und Liebe zum Fußball in der Zuspitzung immer mehr zum Drahtseilakt wird. Der Filmbeitrag hat es sich offensichtlich zur Aufgabe gemacht, diese Ambivalenz herauszuarbeiten.

Das wesentliche vorweg: Der Film ist sehr gut gelungen.

Wunderbar ausgestattet mit dem „Trainergesicht“: Hanno Friedrich

Unabhängig davon: Wer von so einer Produktion schauspielerische Höchstleistungen nach Hollywoodmanier erwartet, der muss enttäuscht werden, täte aber dem Gesamtkonzept auch großes Unrecht. Die überwiegend sehr jungen Akteure verstehen es auch ohne Schauspielausbildung, die Story gekonnt zu verkörpern. Sie wirken natürlich, authentisch, stimmig und die Protagonisten auch im richtigen Maß sympathisch. Kleinere Unperfektheiten, insbesondere auf der Klimax, sind den Darstellern zweifelsohne zu verzeihen. Sie trüben das Gesamtbild keineswegs. Die Unterstützung von Profis trägt wichtige Szenen spielerisch, so agiert der wunderbare Klaus Niehoff als Kellner Klaus in der Maxbar mit einer sympathisch-beachtenswerten Souveränität, als hätte er zeitlebens nichts anderes gemacht, als in Schwulenbars den Nachwuchs zu bedienen. Der kleine Textfehler an dieser Stelle (betont wird die „U19“, nicht die „U19 Bundesliga“, wobei es doch besonders auf die hohe Spielklasse und nicht das Alter ankommen dürfte) ist entweder ein geschickter Seitenhieb auf szenetypische Vorlieben oder eine Kleinigkeit, die der nicht so fußballaffine Rezipient ohnehin überhören wird. Gleichfalls genial agiert auch Hanno Friedrich, der mit der nach hinten gekämmten Tolle und dem leicht bärbeißigen Gesichtsausdruck den Archetyp des gestrengen oberklassigen Jugendtrainers verkörpert, den letztlich aber nur die fußballerische Leistung völlig unabhängig von dem interessiert, „was unter der Bettdecke passiert“. Fraglos: Eine Idealbesetzung.

Der Film gewinnt durch seine Story. Auch wenn sie nicht wirklich alltäglich ist, kann sie so vorkommen. Denn wir wissen: In großen Teilen ist sie so vorgekommen. Denn hier ist die Biografie von Nico Schulte – dem 19-jährigen und offen schwulen Torhüter der Mittelrheinliga-Mannschaft des Bonner SC – eingeflossen, der viele der dargestellten Szenen im Fußballvereinsleben seiner kaum lange zurückliegenden Jugendspielerzeit (bei einem anderen Verein) so zu durchleiden hatte. Für seine Bereitschaft und seinen Mut, seine Geschichte öffentlich zu machen und großenteils zur stofflichen Grundlage der „Zwei Gesichter“ zu machen, gebührt ihm großer Respekt. Dass im Film nichts Realitätsfernes gezeigt wird, ist zudem durch die unterstützende Beteiligung von Andreas Stiene sichergestellt. Was bleibt, ist das sichere Gefühl, dass die Szenen aus dem Film jedem talentierten schwulen jungen Fußballspieler in gleicher oder ähnlicher Form passieren könnten. Diese besondere Authentizität ist ein weiterer besonderer Pluspunkt des Films, der einerseits stark qualitätsgebend, aber natürlich zugleich besonders mahnend ist: Im deutschen Fußball soll sich kein Junge eine Scheinfreundin suchen oder sich verstecken müssen, nur weil er schwul ist.

Die Duschszene: Plötzlich duschen die Mannschaftskollegen von Jonathan nur noch in Boxershorts...

Die Duschszene: Plötzlich duschen die Mannschaftskollegen von Jonathan nur noch in Boxershorts…

Unterstrichen wird eindrücklich, dass bis dahin allerdings noch Lichtjahre zurückzulegen sind. Denn authentisch ist ebenso die Szene, in der die Mannschaftskollegen von Jonathan nur noch mit einer Boxershorts bekleidet mit ihm zusammen duschen wollen, weil die „Schwuchtel sich pervers an ihnen aufgeilen will“. Homophobe Vorurteile werden stechend scharf gezeigt.

Für den Kölner Fußballer wird der Realitätsbezug des Filmwerks noch einmal besonders anschaulich deutlich. Gedreht wurde an Originalörtlichkeiten im Kölner Südstadion und auf dem daneben liegenden Aschenplatz. Auch die Jogging-Strecke von Jonathan und seinem besten Freund Mark an den Jahnwiesen und dem dort stehenden Denkmal ist wohlbekannt. Ebenso realistisch ist der Szeneauftritt der beiden: Am Ex-Corner und der Mumu vorbei geht die Reise in Richtung Ruhrpott und endet in der Maxbar. Wer insbesondere die Fußballörtlichkeiten kennt, der weiß: so sieht es dort wirklich aus. Diese perfekte szenische Einbettung trägt ebenfalls zur glaubhaften Vermittlung der wichtigen Inhalte bei und verleiht der Inszenierung ein großes Stück Natürlichkeit. Abgesehen davon: Der Kölner, der seiner Stadt und beiden Szenen nah ist, sieht die Bilder natürlich mit dem üblichen lokalpatriotischen Schauer auf dem Rücken.

Jetzt ist es ausgesprochen: "Du bist schwul, Jonathan!"

Jetzt ist es ausgesprochen: „Du bist schwul, Jonathan!“

Eine weitere Stärke des Kurzfilms ist seine Emotionalität. Er ist anrührend. Das wesentliche sitzt und trifft den Zuschauer ins Mark. In perfekter Dramatik wird zu Beginn herausgearbeitet, wie die ungeoutete Situation von Jonathan durchaus dazu führen könnte, dass er sich selbst aufs soziale Abstellgleis manövriert (Unehrlichkeit gegenüber seinem besten Freund, Verstecken seines Schwulseins). Herrlich spielt David Brückner beim Betreten der Maxbar die Angst von Jonathan, die man in dieser Szene gleichsam wie aus einem Buch von seinem Gesicht ablesen kann und die zweifelsohne bei denjenigen, die die gleiche Angst beim erstmaligen Betreten einer Schwulenbar selbst einmal am Leibe gespürt haben, beklemmend an ein bekanntes Gefühl erinnert. Das gleiche gilt für die präzise Darstellung der Fremderkenntnis in dieser Szene durch Jonathans Film-Liason Nicklas Hartmann, gespielt von Lean Fargel: „Du bist schwul, Jonathan!“ Die sogleich folgende und – einzigartig – die Verbindung zum Fußball herstellende Selbsterkenntnis von Jonathan bringt den ganzen traurigen inneren Konflikt zum Vorschein.

Unschlagbar ist die Verbindung, die der Film zwischen Liebe und Fußball herstellt. Allein, weil der Film die Kraft der Liebe zum Fußballsport in besonderer Weise zu erklären vermag (und diese Liebe anfänglich sogar über die ehrlich gefühlte Zuneigung über einen anderen Menschen gestellt werden soll), sollten die Fußballverbände nicht zögern, den Streifen bei einer Vielzahl von Gelegenheiten dem unterschiedlichsten Publikum immer wieder zu präsentieren. Besser ist die Faszination, die der Fußball auf Menschen ausüben kann, selten dargestellt worden. Zuckersüß und fesselnd ist die Idee aus dem Storyboard, dass Jonathan seinem schwulen, zunächst klischeehaft fußballzweiflerischen Freund die Liebe zu seinem Sport auf dem Platz vermittelt. Szenisch und stimmungsmäßig ist das ein Volltreffer. Das erkennbare fußballerische Unvermögen von Nicklas, das bei anderen Mitwirkenden im Rahmen der Darstellung eines Trainings- und Spielrahmens mit professionellem Anspruch bisweilen für den Fußballkenner ein wenig überraschend wirkt, ist in dieser Szene herzerfrischend und trifft ins Schwarze. Hier schafft der Film sensationelle Bilder.

Die technische Machart des Films ist insgesamt sehr zu loben. Insbesondere Regie, Kamera, Schnitt und Musik leisten mit ihren professionellen Beiträgen ebenfalls einen wesentlichen Beitrag dazu, dass das Gesamtprodukt in dieser Hinsicht seinen Platz unter den professionellen filmischen Werken findet. Schnitt und Musik tragen wesentlich zur besonderen Fähigkeit des Films bei, schwierige ambivalente Stimmungen und ihre Veränderungen an den Zuschauer zu transportieren.

StandpaukeIn seiner gesellschaftspolitischen Bewertung zeigt der Film schlimmstenfalls die ständig gegenwärtige Diskriminierung und bestenfalls die omnipräsenten Vorbehalte, der bzw. denen (junge) schwule Männer im Fußball (und in unserem Land) tagtäglich tatsächlich immer noch ausgesetzt sind. Damit beschreibt er eine bekämpfensnotwendige Realität, an der sich trotz der litaneiartigen Betonung des Gegenteils durch einige Fußballverbandsfunktionäre auch im Jahr 2014 noch nichts geändert hat. Damit es, wie im Film, zum Happy End (platt: „Freundschaft und Fußball über sexueller Orientierung“) im deutschen Fußball kommt, haben wir alle noch eine Menge Arbeit vor uns. Und insbesondere die Fußballverbände. Mit einem alibimäßigen Ausruhen auf gelegentlichen Peak-Veranstaltungen oder einer – im Ausgangspunkt uneingeschränkt lobenswerten – finanziellen Unterstützung solcher Filmprojekte ist es nicht getan.

Das höchste Lob verdient das junge Team von anyway. Ihr habt ein tolles Werk geschaffen! Dazu: Herzlichen Glückwunsch! – Vielgestellt war nach der Premiere die Frage, ob man „daraus nicht hätte mehr machen können“. Die Frage ist müßig. Alle Beteiligten haben im Rahmen des Budgets ihr Bestes gegeben und ein sehenswertes Ergebnis abgeliefert, das aufgrund seiner besonderen Authentizität und eben auch aufgrund seiner mit Jugendlichkeit gepaarten gelegentlichen Unvollkommenheit seinen wichtigen Effekt nicht verfehlen und wichtige Impulse geben wird. Natürlich hätte man mit einem großen Budget, ausgebildeten Schauspielern und weiteren geänderten Rahmenbedingungen „mehr daraus machen können“ – insbesondere wahrscheinlich einen längeren Film. Dass es dieses Budget nicht gab und die Rahmenbedingungen so sind, wie sie sind, beantwortet dauerhaft die Frage, warum es so wichtig war, diesen guten Film so zu machen, wie er ist.

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