SV Wilhelmshaven – Die vorläufigen FAQ

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Was bedeutetet die Entscheidung des Bundesgerichts für den SV Wilhelmshaven? Diese und die nachfolgenden Fragen zur BGH-Entscheidung in der Sache SV Wilhelmshaven sind mir in den letzten Tagen von verschiedener Seite gestellt worden. Ich halte die aufgeworfenen Fragen für ebenso spannend wie die Fragesteller. Daher mache ich sie gerne einem breiteren Publikum zugänglich, verbunden mit dem Bemühen um notwendigerweise vorläufige Antworten. Die bescheidenen Antwortversuche beruhen auf meiner Interpretation der Pressemitteilung und meiner Erinnerung an die mündliche Verhandlung. Sie bleiben daher vorläufig und natürlich meine persönliche und private Einschätzung. Sie sind wegen des breiteren Adressatenkreises eher unjuristisch (soweit möglich) und allgemein verständlich gehalten. (So hoffe ich es jedenfalls.) Eine verbindliche Analyse kann nur aufgrund der (noch nicht vorliegenden) schriftlichen Urteilsgründe erfolgen.

 

Habe ich es richtig verstanden, dass der Bundesgerichtshof zur Rechtmäßigkeit der Ausbildungsentschädigung überhaupt nichts gesagt hat?

Richtig. Der Bundesgerichtshof hat sich mit der Frage, ob diese Ausbildungsentschädigung überhaupt im Einklang mit Art. 45 AEUV und damit rechtmäßig festgesetzt worden ist, nicht auseinandergesetzt. Das brauchte er auch nicht, weil er bereits vereins- und verbandsrechtlich zu der Erkenntnis gekommen ist, dass keine wirksame Unterwerfung des SV Wilhelmshaven unter die Strafgewalt der FIFA vorliege und auch in der Satzung des Norddeutschen Fußballverbandes (NFV), der – nach Auffassung des BGH – diese Sanktion letztlich ausgesprochen habe, eine entsprechende Ermächtigung nicht vorhanden sei.

 

Stimmt es, dass die streitige Ausbildungsentschädigung bislang nicht bezahlt ist?

Meines Wissens nach ist die Summe nach wie vor offen.

 

Droht dem organisierten Fußball, also dem DFB, jetzt Ungemach?

Es droht in der Tat Ärger zwischen der der FIFA und dem DFB. Der DFB ist als Mitglied der FIFA verpflichtet, die Entscheidung der FIFA theoretisch bis nach unten an seine Basis (vulgo: in die Kreisliga), aber eben auch in der Regionalliga (wie seinerzeit beim SV Wilhelmshaven) umzusetzen. Wenn der DFB dies in Zukunft durchgängig – etwa aufgrund rechtlicher Bewertungen im Urteil, das uns in schriftlicher Form noch nicht vorliegt – nicht mehr tun kann, dann würde der DFB gegenüber der FIFA seine Pflichten als FIFA-Mitglied verletzten. Deswegen kann er seitens der FIFA natürlich in Anspruch genommen, sprich bestraft werden. Diese Bestrafung kann ganz unterschiedlich erfolgen. Auch in diesen Bereichen wird man natürlich zunächst mit förmlichen Rügen, Vorhalten und Geldstrafen arbeiten. Aber es liegt auf der Hand, dass etwa auch Mannschaften des DFB von internationalen Turnieren ausgeschlossen werden können. Hier wäre es ein fußballerisches Horrorszenario, wenn der amtierende Weltmeister, unsere A-Nationalmannschaft, nicht an den nächsten Weltmeisterschaften teilnehmen könnte. Das halte ich allerdings eher für eine theoretische Möglichkeit. Vorher wird man sicherlich deeskalierend eingreifen.

Außerdem muss man die Frage stellen: Kann die FIFA dem DFB überhaupt einen Vorwurf machen, wenn er seine Pflichten wegen rechtlicher Unmöglichkeit aus der BGH-Entscheidung plötzlich nicht mehr umsetzen kann? Ich meine: Jedenfalls nicht in einer Form, die zu einer Strafe führen kann. Allerdings wird im Verbandsrecht ein eigenes Verschulden des Angeschuldigten für eine spätere Bestrafung nicht immer zwingend vorausgesetzt (Stichwort: „strict liability“, „verschuldensunabhängige Haftung“). Hier erscheint mir das Ergebnis offen, zumal diese FIFA-Entscheidung nur vom CAS (und nicht von einem ordentlichen Gericht) kontrolliert werden würde, der die verschuldensunabhängige Haftung, die in der deutschen Jurisprudenz überwiegend abgelehnt wird, mehrfach bestätigt hat.

 

Kann der DFB seinen Vereinen denn nicht vorschreiben, dass man u.a. der FIFA „zu gehorchen“ hat, also dass ihre Regeln und Entscheidungen für alle gelten?

Das kann der DFB seinen Landesverbänden und über die Landesverbände den Vereinen (und Clubs der Profiligen) selbstverständlich vorschreiben. Das hat man bislang u.a. über die sog. „dynamischen Verweisungen“ versucht. Das ist eine rechtliche Gestaltungsmöglichkeit, welcher der BGH jetzt möglicherweise eine Absage erteilt hat. Um dies zu beurteilen, ist es allerdings noch sehr früh. Dafür sind die die schriftlichen Urteilsgründe zwingend erforderlich.

Es gibt andere rechtliche Konstruktionsmöglichkeiten, die aber zum Teil sehr arbeitsaufwändig sind. Eine davon würde z.B. bedeuten: Immer wenn der DFB seine Satzung und Ordnungen ändert, weil sich bei der FIFA irgendwas geändert hat, müssten alle seiner rund 25.000 Fußballvereine in Deutschland ebenfalls ihre Satzung ändern oder ihre Ordnungen anpassen. Dieser Verwaltungsaufwand ist unverhältnismäßig, nicht leistbar und kann natürlich nicht im Sinne des Erfinders sein.

Es wird nicht problematisch sein, die professionellen und semiprofessionellen Ligen (etwa hinunter bis zur Regionalliga, evtl. auch noch bis in die Oberliga) den Entscheidungen und Satzungen auch der internationalen Verbände FIFA und UEFA zu unterwerfen. Hierzu besteht ja überhaupt nur ein Bedürfnis, wenn die Vereine/Clubs internationale Berührungspunkte haben, etwa durch internationalen Spielbetrieb oder internationale Spielerwechsel. Wenn man eine Unterwerfung unter internationale Regeln und Entscheidungen in den Spielklassenzulassungsverträgen haben möchte, wird man diese nunmehr ganz ausdrücklich aufnehmen müssen. Das ist relativ einfach, das verursacht nicht viel Arbeit. Es ist vor allem rechtlich auch unproblematisch: In Regelanerkennungsverträgen sind dynamische Verweisungen seit der Reitsportentscheidung (BGHZ 128, 93) gültig und zulässig.

Wenn man allerdings tatsächlich einen Durchgriff von der FIFA bis in die Bezirks- oder in die Kreisliga haben möchte, dann wird man das derzeit herrschende Satzungsunterwerfungssystem wohl neu anzufassen haben.

 

Ist mit dem BGH-Urteil in der Sache SV Wilhelmshaven etwas zur Rolle des CAS gesagt worden, wie etwa in der berühmten Entscheidung zu Claudia Pechstein?

Das Verhältnis der internationalen Sportgerichtsbarkeit und des nationalen Rechts wird durch die SV Wilhelmshaven-Entscheidung im Prinzip nicht berührt, weil es keine direkte Verbindung gibt. Es wird zwar zu Recht darauf hingewiesen, dass es eine rechtskräftige Entscheidung des Schiedsgerichts über die Rechtmäßigkeit des Zwangsabstiegs gibt, von dem der BGH jetzt festgestellt hat, dass der Norddeutsche Fußballverband ihn in Deutschland nicht wirksam vollzogen hat.

Das beruht allerdings auf vereins- und verbandsrechtlichen Gründen, die allein im deutschen Recht liegen. Da es nach Auffassung des BGH schon an der Unterwerfung/Ermächtigung für die Strafe fehlte, kam es für den Senat auf die Rechtmäßigkeit des Zwangsabstiegs und des dazu ergangenen Schiedsspruches nicht mehr an. Es ging weniger um die Frage, ob der der Zwangsabstieg zu Recht von der FIFA verhängt worden ist. Der BGH hat wohl folgende Frage entschieden: Konnte man den verhängten Zwangsabstieg rechtmäßig in Deutschland umsetzen?

Diese Frage hat der BGH mit „Nein!“ beantwortet, weil es keine ausreichende Ermächtigung hierfür in der Satzung des NFV gebe.

 

Kommt der SV Wilhelmshaven jetzt zurück in die Regionalliga?

Nein, das wird natürlich nicht funktionieren.

upwards_black_arrowDer SV Wilhelmshaven spielt mittlerweile in der Bezirksliga. Der actus contrarius zum Zwangsabstieg, also ein Zwangsaufstieg, wäre – wenn es ihn als Schadenersatzanspruch denn gäbe – auf Wiederaufstieg eine Liga höher gerichtet, nicht auf Aufstieg in die Regionalliga. Denn auch der Rechtsbefehl des Zwangsabstiegs ist ja bloß: „Spiel eine Liga tiefer“, demzufolge ist das Gegenteil: „Spiel eine Liga höher“. Hierbei kommt es zentral auf die Bestimmung des Inhalts des Naturalrestitutionsanspruchs an. Den Ansatz, den der SV Wilhelmshaven nunmehr offensichtlich versucht, ist: „Ich war vor der Zwangsabstiegsentscheidung in der Regionalliga, ich muss zu ihrer Rückabwicklung wieder in die Regionalliga.“ Das ist aber eine Milchmädchenrechnung, weil dieser Anspruch zu einer Überkompensation des schädigenden Verhaltens führen würde. Die jetzige Eingruppierung des Vereins in der Bezirksliga ist nicht kausal zur Zwangsabstiegsentscheidung. Es sind viele eigene Zwischenakte (Spielergebnisse, Auf- und Abstiege, Eingruppierungsanträge und -entscheidungen) dazwischengetreten, welche die Kausalitätskette unterbrechen. – Einmal ganz davon abgesehen: Eine „Rückkehr“ in die Regionalliga wäre, neben all den anderen Bedenken, aber ohnehin nur möglich, wenn der SV Wilhelmshaven die Regionalliga nicht aus anderen Gründen hätte verlassen müssen.

Ob auch deswegen dieser Schadenersatzanspruch auf Naturalrestitution besteht, ist mehr als zweifelhaft. Es wird sich sehr gut vertreten lassen, dass in Fällen wie dem vorliegenden eine Naturalrestitution ausscheidet, weil sie unmöglich ist: Nach der Zwangsabstiegsentscheidung sind mehrere sportliche Entscheidungen gefallen, die schlechterdings nicht zurückgedreht werden können. Auch fehlt es möglicherweise an der Kausalität, wenn der SV Wilhelmshaven, der – wenn ich mich recht erinnere – seinerzeit in der Regionalliga nicht bestens aufgestellt war, aus sportlichen Gründen ohnehin abgestiegen wäre. Es lässt sich einfach nicht prognostizieren, wo der SV Wilhelmshaven heute wäre, wenn er nicht zwangsabgestiegen wäre. Er ist damit auf eine Geldentschädigung zu verweisen (§ 251 Abs. 1 BGB). Deren Berechnung, zu der ich mich weiter nicht äußern möchte, weil es sonst viel zu juristisch wird, ist aber trotz der Erleichterungen nach § 252 BGB und § 287 ZPO für jeden Anwalt schon Herausforderung genug. Auch ein Sachverständiger, der das ausrechnen kann, wird mangels bestimmbarer Anknüpfungstatsachen kaum zu finden sein.

Wenn ein Anspruch auf einen Schadenersatzanspruch auf Aufstieg in die Regionalliga ausscheidet, wird aber auch der vermeintliche „sportrechtliche Schadenersatzanspruch auf Aufstieg in die nächsthöhere Klasse“ scheitern müssen.

Nach dem BGH-Urteil steht eine rechtswidrige Abstiegsentscheidung des NFV und damit eine Schadenersatzpflicht (dem Grunde nach) des NFV aus vertraglichen/quasi-vertraglichen Ansprüchen fest. Schuldner des Schadenersatzanspruchs ist der NFV.

Vom NFV kann aber der SV Wilhelmshaven eine Einordnung in die Landesliga nicht verlangen. Dieser ist für die Regionalliga zuständig, aber nicht für die Landesliga. Die Einteilung der Landesliga und ihre Verwaltung nimmt der Niedersächsische Fußballverband in seiner eigenen Zuständigkeit vor. Dies ist ein anderer Rechtsträger als der NFV und nicht Schuldner des Schadenersatzanspruchs des SV Wilhelmshaven. Und an dieser Stelle wird sich der SV Wilhelmshaven – was aus seiner Sicht als besonders bitter erscheinen wird, aber nach dem Ausschwenken aus der fußballerischen Solidargemeinschaft gerecht erscheint – an dem messen lassen müssen, was er vor dem BGH verlangt und was dieser ausgeurteilt hat: Der SV Wilhelmshaven wollte das anerkannte Pyramidensystem der Verbandshierarchie nicht anerkennen und hat die Verschachtelung der Verbände wie das wechselseitige Unterwerfungssystem bestritten, auf dem die Durchwirkung des Rechts und aller Entscheidungen nach oben und nach unten beruht (Prinzip der Allgemeinverbindlichkeit, vgl. § 3 DFB-Spielordnung, entsprechende Regelungen gibt es bei allen andere Verbände. Dieses System ist m.E. stärker durch die Verbandsautonomie geschützt, als der BGH meint.). Damit konnte der NFV die FIFA-Strafe nicht vollstrecken. Aber nur, wenn dieses System der Durchwirkung gilt, kann er mit dem Anspruch gegen den NFV vom Niedersächsischen Fußballverband (der – wie gesagt – ein ganz anderer Verband ist) Wiedereingliederung in die Landesliga verlangen, weil er ansonsten gegen einen nicht passivlegitimierten Schuldner vorgeht. Dies wäre aber vor dem Hintergrund des Klagevorbringens gegen den NFV ein ganz offensichtliches venire contra factum proprium – sprich: Der SV Wilhelmshaven würde sich zu vorherigem Verhalten in deutlichen Widerspruch setzen und würde deswegen damit nicht gehört.

thumbs_downDieser Punkt illustriert für meine Begriffe am besten, warum ich das Urteil des Bundesgerichtshofs für falsch halte: Es ist schlicht systemwidrig und ignoriert die Verbandsautonomie, durch die sich die Beteiligten in ein diffiziles, wohl definiertes und ihnen zustehendes System gesetzt haben.

Aber selbst, wenn man zu einem Aufstiegsanspruch in die nächst höhere Klasse kommen sollte (was ich nicht annehme), gibt es viele weitere Hürden. Durch eine (unplanmäßige, nicht auf sportlichen Leistungen beruhende) Hereinnahme des SV Wilhelmshaven in die Landesliga dürfte selbstverständlich keinem anderen Landesliga-Verein ein unsportlicher Nachteil entstehen. Deswegen müsste man möglicherweise eine Landesliga-Staffel für eine Saison um eine Mannschaft aufstocken, also etwa für eine Saison mit 17 oder 19 Mannschaften spielen. Dann muss insoweit aber natürlich auch die Auf- und Abstiegsregelung für den zuständigen Landesverband, möglicherweise mit erheblichen Auswirkungen auf die über- und untergeordneten Ligen, angepasst werden. Es versteht sich von selbst, dass dies nicht in der laufenden Saison, also frühestens zur Spielzeit 2017/18 umgesetzt werden könnte.

 

Wie ist das Vorgehen des SV Wilhelmshaven zu bewerten?

Das Verhalten des SV Wilhelmshaven ist nicht zu beanstanden. Es ist für mich als Richter selbstverständlich, dass Jedermann Rechtsschutz vor den ordentlichen Gerichten suchen kann – gerade auch gegen Maßnahmen sozialmächtiger Vereinigungen. Was mich an der Argumentation des Vereins stört, habe ich bereits ausgeführt. Es bleibt allerdings dem Durchhaltevermögen des Vereins zu verdanken, dass systemische Schwächen aufgedeckt worden sind, mit denen sich nicht nur die Juristen zu befassen haben werden.

 

Welche Signalwirkung geht von dem Urteil aus?

Nach den verschiedenen nationalen und internationalen Skandalen in den unterschiedlichsten Sportverbänden hat die Rechtsprechung in Deutschland eines klargemacht: Die Sportverbände haben große Macht. Ihre Machtausübung ist in Deutschland nicht unbeschränkt und hat aus guten Gründen verfassungsrechtliche und einfachgesetzliche Grenzen. Deren Einhaltung wird durch die nationalen Gerichte in Deutschland in Zukunft penibel kontrolliert werden. Das Signal ist klar: Übertreibt es nicht, sonst bremsen wir Euch!

Die schwierige Frage im Einzelfall wird es sein, diesen Kontrollanspruch in Einklang mit der garantierten sportlichen Selbstverwaltung aus Art. 9 Abs. 1 des Grundgesetzes zu bringen. Jedenfalls wird dem organisierten Sport derzeit und in der Zukunft ganz erheblich auf die Finger geschaut.

 


(Abkürzungen: NFV = Norddeutscher Fußballverband (Regionalverband). Unterscheide: Niedersächsischer Fußballverband (Landesverband) – im Text nicht abgekürzt. Bildnachweis: Uwe Karwath, Wilhelmshaven – Eigenes Werk, Wilhelmshaven Jadestadion, U21-Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft, über Wikipedia. CC BY 2.5.

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