Putins Krieg und der Beitrag des Sports

Russland führt in Europa einen unmenschlichen, schrecklichen und verachtenswerten Angriffskrieg gegen die Ukraine, der Leben kostet, unfassbares Leid über die Menschen bringt und sinnlose Zerstörung verursacht. Nach nur kurzem Zögern in einigen Bereichen haben große Teile der Weltgemeinschaft beschlossen, das Verhalten Russlands umfassend zu sanktionieren und das Land international zu ächten. Die Ankläger am ICC ermitteln. Was diese Reaktionen angeht: So weit, so gut.

Im Sport wirft dies schwierige sportpolitische und rechtliche Fragen auf, mit denen offensichtlich nicht alle Beteiligten, auch nicht alle Verbände und ihre Funktionäre, hinreichend sensibel und vernünftig umgehen können. Welchen Beitrag hat der Sport geleistet, dass es so weit kommen konnte? Welchen Beitrag kann der Sport leisten, um den Krieg zu beenden und sicherzustellen, dass es Frieden in Europa gibt und dann bleibt?

Die Bilanz auf Frage eins fällt nicht wirklich gut aus: Natürlich haben die großen Sportvereinigungen, etwa das IOC und die FIFA, durch die Vergabe und die Veranstaltung von Wettbewerben in Russland in z. T. liebevoller Zusammenarbeit mit dem dort herrschenden Autokraten einen beachtlichen Beitrag zum überbordenden Selbstbewusstsein des Aggressors geleistet. Dieses Selbstbewusstsein und die zugelassene, widerspruchslose Selbstinszenierung auch auf der sportpolitischen Weltbühne sind der Nährboden, auf dem krude, wahnhaft-revisionistische Theorien geboren werden, die dem lupenreinen Diktator die rechtfertigende Grundlage liefern sollte, die Ukraine zu überfallen. Führende Funktionäre haben Anlass, sich in Grund und Boden zu schämen.

Das geht mit Frage zwei so weiter: Menschenverachtenden und die Regeln des Völker- und Menschenrechts nicht respektierenden Regimen muss der Sport – im Sinne der Teilhabe an sportlichen Großveranstaltungen mit ihrer Strahlkraft – zweitweise entzogen werden. Jetzt sofort und jedenfalls so lange, bis sich die politische Situation spürbar und nachhaltig verbessert hat. Wer sich an die grundlegendsten Regeln eines friedlichen Zusammenlebens nicht hält, darf eben nicht mitspielen. Das sollte unser Konsens sein, ist er es nicht, muss er es werden. Sicherlich: Das wird auch einzelne Sportler oder Mannschaften treffen, die – in der Tat – trainiert, gekämpft und geschwitzt haben, um an Wettbewerben teilzunehmen. Und die genau dies dann nicht mehr können und dürfen. Das ist bedauerlich, aber nicht zu ändern, weil es notwendig ist. Denn nur so wird in Russland in allen Bereichen der zivilgesellschaftliche Druck entstehen, um eine Änderung in der Regierung, der Führung, der Staatsordnung herbeizuführen. Der wichtige Gesellschaftsteil des Sports darf sich nicht aussparen. Die Staatsangehörigkeit ist zwar nicht per se vorwerfbar, aber sie verleiht demjenigen, der sie hat, zumindest die Möglichkeit und Berechtigung, Änderungen anzustoßen. Das ist, touché, in den Staaten, in denen es notwendig ist, häufig auch gefährlich. Aber wir wissen aus der Geschichte, dass dies der einzige Weg ist. Diesen schwierigen Spagat werden wir Athletinnen und Athleten nicht allein und nicht dauerhaft abverlangen können. Langfristig bedarf es einer verbandlichen Neuorientierung im Umgang mit solchen Regimen und ihren Sportlern, weil nun feststeht: Der Sport ist nicht unpolitisch. Für die Sporttreibenden ist eine andere Einbindung nötig, in der sie Sport treiben und nicht instrumentalisiert werden können.

Danach ist die – ursprüngliche, rasch mit irritierender Begründung korrigierte – Entscheidung des IPC, russische Athleten an den Paralympischen Spielen „neutral“ teilnehmen zu lassen, nichts anderes als ein Witz! Wer es als internationale Sportorganisation außerdem nicht schafft, den Krieg in seiner Pressemitteilung als solchen zu benennen, hat seinen Anspruch verwirkt, als Organisation und Ansprechpartner auch nur annähernd ernst genommen zu werden. Das gilt auch für jeden, der juristische Feigenblätter nutzt, um Ausschlüsse von russischen Verbänden, Mannschaften, Sportlern oder Gesellschaftern aus Wettbewerben und Ligen nicht aussprechen zu müssen, weil es angeblich „an der entsprechenden Grundlage“ fehle. Abgesehen davon, dass viele Verbandssatzungen Generalklauseln enthalten dürften, wissen schon die juristischen Erstsemester, dass man – auch ohne schriftliche Regelung – an Einigungen nicht festgehalten werden kann, wenn das für eine Seite unerträglich ist und damit die Geschäftsgrundlage entfällt. Das ist in Dauerschuldverhältnissen so; entsprechende Rechtsinstitute gibt es jeder Rechtsordnung. Dass die Rechtsfragen im Einzelnen schwierig sind, ist klar. Aber wie so häufig bereitet hier der Wille den juristischen Weg.

Russland hat sich neben der politisch-gesellschaftlichen auch die sportliche Ächtung mehr als verdient. Nur durch klare und unmissverständliche Reaktionen wird der organisierte internationale Sport dem eigenen Anspruch gerecht werden können, für Völkerverständigung und Weltfrieden sorgen zu wollen. Den bisherigen Opfern und dem malträtierten ukrainischen Volk bringt das alles nichts mehr. Was für ein Preis! In unseren Gedanken sind wir bei den Menschen in der Ukraine.


Erschienen als Editorial des SpuRt-Heftes 2/2020, SpuRt 2022, 69 und auf beck-online

The IOC acts perversely and shamelessly [ENGLISH]

To the German version of the text 

Die IOC-Zentrale

The latest reports regarding preventive exclusion of athletes during the Olympic Games 2014 in Sochi are nothing short of scandalous and overshadow by far any other improper actions of international sports organizations. It is the perverse zenith of associational opportunism of a mock democracy, where civil rights are arbitrarily and flagrantly trampled on – before the eyes of the global community.  Out of pure fear, the IOC is caving in and tearing down the thin veil of its own inherent homophobia. The threatened arrest of athletes for violating the „Law against homosexual propaganda“ would disturb the rose-colored, anodyne sport coverage (beyond, of course, reports on the usual doping scandals to which we are now accustomed) resulting in a negative impact on the marketing of the Games. There is no doubt that the Russian government would enforce the „Law against homosexual propaganda“ against foreign athletes and punish them with fines accordingly.  The Kremlin bosses would surely find it far easier to ignore the potential uproar than the fury of the US government regarding the asylum of Edward Snowden. The primary motive of the IOC is obvious: even our own athletes will not be allowed to disturb our immaculate Olympic Games. And behind that there is – once again – only one thing: money.

Perverse and shameless – there is no better description of the juristic travesty, which the IOC is committing by disseminating the following argumentation on the subject as follows:

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Das IOC: Pervers und obszön

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UPDATE AM TEXTENDE: Radio-Interview zum Beitrag (19.08.2013)
UPDATE: Zur englischen Übersetzung des Artikels (20.08.2013)

Die IOC-Zentrale

Was die Onlineausgabe der Zeit am 16.08.2013 zur „Schutzsperre“ des IOC für Athleten während der Olympischen Winterspiele in Sotschi im Februar 2014 berichtet, ist ein Skandal und stellt vieles, was internationale Sportverbände schon verbockt haben, noch in den Schatten. Es ist der perverse Höhepunkt verbandlichen Opportunismusses gegenüber einer Scheindemokratie, in der bürgerliche Grundfreiheiten seit Langem wieder beliebig und offensichtlich mit Füßen getreten werden – unter den Augen der Weltbevölkerung. Aus nackter Angst knickt das IOC ein und reißt sich das zarte Mäntelchen, welches es bislang über seine eigene Homophobie gelegt hat, entschlossen herunter: Es ist die Furcht vor  Verhaftungsmeldungen olympischer Teilnehmer wegen eines Verstoßes gegen das „Gesetz gegen homosexuelle Propaganda“, welche die im Übrigen rosarote und weichgespülte Sportberichterstattung (nur abgesehen von den üblichen Dopingskandalen, an die wir uns aber zwischenzeitlich schon gewöhnt haben) und damit zukünftige Vermarktbarkeit der Spiele stören könnten. Denn es besteht kein Zweifel, dass Russlands Regierung das „Gesetz gegen homosexuelle Propaganda“ auch gegenüber ausländischen Sportlern durchsetzen und diese – mit Geldstrafen – bestrafen würde. Die zu erwartenden üblichen internationalen Proteste würden die Chefs im Kreml noch entspannter ignorieren als das mächtige Getue der USA wegen der Gewährung von Asyl an Edward Snowden. Das Haupthandlungsmotiv des IOC liegt klar auf dem Tisch: Selbst von unseren Sportlern lassen wir uns unsere schönen Spiele nicht stören. Dahinter liegt wieder einmal nur eines: monetäre Interessen.

Pervers und obszön – anders lässt sich die juristische Fehlleistung nicht mehr beschreiben – ist in diesem Fall aber die Argumentation, der sich das IOC verschlichen hat:

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